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Arbeitsgruppe Numerik

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Dominik Löchel

Mathematik schafft Energie

Energieverluste leuchten in der FusionsmaschineBlick in die Torusförmige Fusionskammer. Das Leuchten auf der linken Seite entzieht der (unsichtbaren) Fusionsflamme so viel Energie, dass die Flamme wenige Sekunden nach dieser Aufnahme erlischt. Für die Zukunft werden klimaschonende und preiswerte Stromkraftwerke gebraucht. Fusionskraftwerke erfüllen diese Bedingungen. Ihre Simulation führt zu komplizierten Gleichungen, die nur mit ausgeklügelten mathematischen Methoden in akzeptabler Zeit von einem Computer gelöst werden können.

Die Energiequelle der Zukunft muss klimaschonend, preiswert und sparsam mit Ressourcen sein. Die sogenannte Kernfusion ist ein Kandidat dafür. Bei der Kernfusion werden, ähnlich wie in der Sonne, je zwei Wasserstoffatome zu einem Heliumatom verschmolzen (fusioniert). Der Atomkern eines Wasserstoffatoms besteht aus einem Proton und der vom Helium aus zweien. Bei der Fusion wird sogenannte atomare Bindungsenergie frei, die sehr viel größer als chemische Bindungsenergie ist. Daher liefert ein Kleintransporter voll Fusionsbrennstoff die gleiche Menge an Energie wie ein zweihundert Kilometer langer Eisenbahnzug voll Kohle. Das Abgas der Kernfusion ist Helium, welches zum Beispiel den Partyballons den Auftrieb verleiht und erfreulicherweise keinen Treibhauseffekt verursacht.

Im Gegensatz zur Kernspaltung, bei der das große Atom Uran in zwei kleinere aufgespalten wird, ist die Radioaktivität bei der Kernfusion sehr gering und eine Kettenreaktion, wie sie in Tschernobyl geschah, aus physikalischen Gründen unmöglich. Die Kernfusion findet nur unter sehr speziellen Bedingungen statt, und deswegen ist es bisher noch nicht gelungen elektrischen Strom aus Fusion zu erzeugen. Wir sind in einer Situation, die wir mit einer Kerze vergleichen können, die nur solange brennt, wie das brennende Streichholz ihren Docht erwärmt. Derzeit wird im französischen Cadarache eine neue Forschungsfusionsanlage gebaut, die erstmals mehr Energie produzieren soll, als sie selbst verbraucht.

Wir wenden uns den physikalischen Grundlagen etwas genauer zu. Atomkerne sind positiv geladen und stoßen sich daher gegenseitig ab. Bei ganz geringem Abstand überwiegt hingegen die anziehende "starke Wechselwirkung". Das heißt, wir müssen die Wasserstoff-Atomkerne sehr dicht zusammenbringen, damit sie fusionieren. Bei hoher Temperatur stoßen die Atome mit großer Geschwindigkeit und sehr häufig zusammen und bei Temperaturen um 100 Millionen Grad Celsius findet ausreichend Fusion statt. Da kein Material dieser Temperatur standhält, werden die Atombestandteile mit Hilfe starker Magnetfelder schwebend gehalten.

Bei dieser hohen Temperatur werden die Elektronen und Atomkerne auseinander gerissen, so dass sich die positive Kernladung und die negative Ladung der Elektronenhülle nicht mehr aufheben. Dieser Zustand wird als Plasma bezeichnet und tritt unter anderem im Gewitterblitz, in der Leuchtstofflampe und im Polarlicht auf. Elektrisch geladene Teilchen lassen sich durch Magnetfelder in ihrer Bewegung beeinflussen, und wir können uns vorstellen, dass sie nur noch in Richtung des Magnetfeldes beweglich sind. Diese Eigenschaft nutzt zum Beispiel die Bildröhre im Fernsehgerät aus. Die Magnetspulen werden kreisförmig angeordnet, so dass sich das Magnetfeld wie in einem Reifen durch die innen hohlen Magnetspulen bewegen kann.

Leider gibt es ein Phänomen aufgrund dessen das Plasma doch noch entkommen kann. Ich werde es in einer Analogie beschreiben. Wir stellen uns das Meer statt auf der Erdkugel auf unserem Reifen vor. Durch kleine Druckunterschiede gibt es Wellen. Kommen die Wellen in flachere Bereiche dann werden sie höher und überschlagen sich, was man am Strand beobachten kann. Das gleiche Phänomen haben wir in unserer Fusionsanlage, weil die Stärke des Magnetfeldes auf der inneren Seite des Reifens stärker ist als außen. Während das Wasser vom Strand wieder ins Meer zurück läuft, wird der Plasmareifen immer dicker und berührt nach kurzer Zeit die Gerätewand. Beim Berühren fließt Wärme vom heißen Plasma an die kühle Wand. Es passiert das gleiche, als wenn man einen Eimer Wasser in ein Lagerfeuer kippt. Das Plasma kühlt so stark ab, dass das Fusionsfeuer erlischt. Vermeiden lässt sich dieser Verlust nicht, wir wollen ihn jedoch soweit reduzieren, dass genug Wärme durch die Fusion nachkommt um die Verbrennung aufrecht zu erhalten. In unserem Vergleich mit dem Lagerfeuer bedeutet es, den Eimer voll Wasser langsam in die Flamme zu gießen. Der verminderte Wärmeverlust wird dann wie bei anderen Verbrennungskraftwerken in Strom umgewandelt.

Ein Fusionskraftwerk wird später so viel Strom erzeugen, dass die hohen Baukosten schnell ausgeglichen sind. Die Forschungsgeräte haben jedoch das Problem, dass sie fremd finanziert werden müssen und ihre lange Bauzeit die experimentelle Forschung bremst. Schneller und kostengünstiger wird mit Hilfe von Computer-Simulationen ein geeigneter Bauplan gesucht. Die Physiker der Energieforschung im Forschungszentrum Jülich GmbH haben dazu die in der Plasma-Randzone auftretenden Phänomene mit Gleichungen beschrieben.

An dieser Stelle wird die Mathematik gebraucht. Die Mathematiker nennen die Gleichung dieses Modells "Differential-Eigenwertgleichung". Dabei ist eine Funktion und eine Zahl gesucht, die Eigenfunktion und Eigenwert genannt werden. Die Eigenfunktion und ihre ersten beiden Ableitungen (Steigung und Krümmung) werden mit gewissen parameterabhängigen Funktionen, die wiederum vom Eigenwert abhängen, multipliziert und aufaddiert wobei die Summe Null ergeben muss. Dieser Typ von Gleichung hat mehrere Lösungen, von denen uns diejenige interessiert, die den stärksten Wärmeverlust beschreibt. Effiziente Lösungsmethoden für diese Eigenwertgleichung zu entwickeln ist das Thema meiner Dissertation. Es ist nicht möglich, die Lösung dieser Gleichung als Formel anzugeben. Daher bin ich die Aufgabe numerisch angegangen, das heißt wir begnügen uns damit, die Werte der gesuchten Eigenfunktion an gewissen Punkten auszurechnen.

Für diese Art von Gleichung gibt es bereits mathematische Algorithmen, die die Lösung ausrechnen. Sie haben den Nachteil, dass sich die Rechenzeit verachtfacht, wenn man die Anzahl der Punkte verdoppelt. Mit nur sechzig Punkten dauert die Rechnung weniger als eine Sekunde, die Lösung ist allerdings ungenau. Für eine brauchbare Genauigkeit sind hingegen tausend Punkte notwendig und die Rechenzeit beträgt eine Stunde. Das klingt auf den ersten Blick nicht problematisch. Dazu muss noch gesagt werden, dass die Eigenwertgleichung von der Temperatur des Plasmas abhängt. Kennen wir die Eigenfunktion, so kennen wir den Wärmeverlust und können anhand des Verhältnisses zwischen Wärmeverlust und Heizleistung durch Fusion die Temperatur des Plasmas bestimmen. Mit dieser veränderten Temperatur bekommen wir eine andere Eigenwertgleichung, die es erneut zu lösen gilt. Interessante Simulationen benötigen etwa 100 000 Eigenwertgleichungen. Mit einer Stunde pro Gleichung ergibt das eine Gesamtzeit von mehr als einem Jahrzehnt.

Alternative Verfahren beginnen mit einer (geratenen) Startlösung und verbessern diese, indem sie nacheinander viele kleine Eigenwertgleichungen lösen. In meinem Fall ist das auf Ernest Davidson und Carl Jacobi zurückgehende Jacobi-Davidson-Verfahren geeignet. Dieser Algorithmus findet einzelne Eigenwerte, was im Einklang mit unserer Aufgabe steht. Welche Eigenfunktion er findet hängt allerdings entscheidend vom Startwert ab.

Meine Idee war es, die bisher genannten Aspekte zu einem Verfahren zusammenzusetzen, das sich vereinfacht wie folgt beschreiben lässt: Mit einer niedrigen Anzahl von nur 64 Punkten wird die Eigenwert-Gleichung gelöst und unter den groben Näherungen diejenige Eigenfunktion ausgesucht, die den stärksten Wärmeverlust beschreibt. Genau wie bei einem Digitalfoto mit geringer Auflösung, lässt sich zwar die grobe Form erkennen, aber keine Details. Diese Näherung ist ein guter Startwert für das Jacobi-Davidson-Verfahren auf der nächsthöheren Auflösungsstufe. Das Ergebnis dient wiederum als Startwert für das nächst höhere Level und so weiter. Nach etwa einer Sekunde ist eine hohe Auflösung mit 1024 Punkten berechnet. Die Dauer der gesamten Simulation reduziert sich damit von einem Jahrzehnt auf nur noch einen Tag. Die Vorgehensweise, sich über verschiedene Stufen der Auflösung an die Lösung anzunähern, gab dem Verfahren den Namen "Multilevel-Jacobi-Davidson-Algorithmus".

Wir hatten bereits festgestellt, dass sich der Plasmareifen ausdehnt und die Gefäßwand berührt. Nun können wir die Position, an der die Berührung stattfindet, durch bauliche Maßnahmen festlegen. In Simulationen zeigte sich, dass die Position erheblichen Einfluss auf die Größe des Verlustes hat. Bevor das erste Fusionskraftwerk gebaut wird, sind noch weitere Simulationen notwendig, für die neue mathematische Methoden entwickelt werden müssen.